Dieser Titel sollte mir für den Rest des Lebens anhaften wie ein Markenzeichen. Abzusehen war der Erfolg anfangs nicht, aber auch das Scheitern könnte interessant werden, sagte Günter Grass und forderte mich auf, Tagebuch zu führen. Ich solle einfach alles aufschreiben, was passierte, das übliche Auf und Ab beim Entstehen eines Films, nichts Außerordentliches, nur das, was wir erlebten, so ungeschminkt, wie es der Anstand zulässt… (Schlöndorff 2011, S. 242)
Tatsächlich führt Schlöndorff während der Vorrecherchen und Produktion regelmäßig Tagebuch und füllt mit seinen Gedanken vier Notizbücher. Sie geben Aufschluss über die Arbeitsprozesse, aber auch Einblicke in Ängste und Hoffnungen des Regisseurs. Seine Aufzeichnungen beginnen mit der ersten Begegnung zwischen ihm und Günter Grass, ihren ersten gemeinsamen Ideen über Produktionsprobleme und Hürden der Finanzierung bis hin zu Dokumentationen der einzelnen Drehtage:
7.7.78
Die Angst hat mich eingeholt. Heute Nacht im Traum erlebte ich eine erste Vorführung des Blechtr. Films in Paris vor etwa 600 geladenen Gästen. Keine Reaktion im Saal. Bei der letzten Sequenz, einem nochmaligen Auftreten Oskars als Säugling, der behutsam einen Walzertakt klopft und auch zu tanzen beginnt, verlassen die Leute schon den Saal. Als dann das Licht angeht, schon Aufbruchstimmung. Kein Wort, kein Applaus. (16_4_2_02)
Schlöndorffs BLECHTROMMEL-Verfilmung widmet sich lediglich dem ersten und zweiten Teil der Erzählung, die Jahre der Nachkriegszeit und Oskars‘ Leben in der Heilanstalt sind ausgeblendet. In Schlöndorffs Notizen werden Überlegungen zu einer Blechtrommel, zweiter Teil deutlich, die sich mit den 1950er Jahren beschäftigen sollen, der Zeit, in der er selbst aufwuchs. Das Vorhaben ist bislang unrealisiert geblieben. (Schlöndorff 2011, 20. Oktober 77, S. 249)
Nach der Anfertigung einer ersten Drehbuchfassung, geschrieben von Produzent Franz Seitz, kommen Zweifel an der filmischen Adaption der verschachtelten Rückblenden und Off-Texte Oskars aus dem Roman auf. Dieser Entwurf, welcher noch mit den Ereignissen in der Heilanstalt beginnt, „wirkte schwerfällig und bildungslastig. […] Schließlich beginnen wir auf dem Kartoffelacker bei der Großmutter und mit dem klassischen Märchensatz: ‚Es war einmal…’“ (ebd., S. 249).
Eine weitere Schwierigkeit stellt die Suche nach einem geeigneten Darsteller des Oskars dar. Schlöndorff und Seitz besuchen unter anderem einen Kongress kleinwüchsiger Menschen und einigen sich schnell darauf: „Oskar muss ein Kind sein, und zwar ein möglichst kleinwüchsiges.“ (ebd., S. 247) Im Zuge ihrer Recherchen suchen sie auf dieses Phänomen spezialisierte Ärzte auf, und erfahren so vom damals 12-jährigen David Bennent, Sohn des Schauspielers Heinz Bennent, den Schlöndorff als Anwalt Hubert Blorna in DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM besetzte. Nach einem ersten Treffen auf dem Münchner Oktoberfest ist sich Schlöndorff sicher, seinen Oskar Matzerath gefunden zu haben.
Im November 1977 wird die Arbeit am Drehbuch von Produktionsproblemen unterbrochen. Die Herstellungskosten belaufen sich nach laut Voranschlag auf mindestens 6 bis 7 Millionen DM. Die Überlegungen, den Film in englischer Sprache, mit internationalen Stars wie Dustin Hoffmann oder Roman Polanski als Oskar, Isabelle Adjani und Keith Carradine als seine Eltern zu drehen, werden schnell zerschlagen. Dennoch plagen den Regisseur tiefe Zweifel zur Realisierung seines Projektes:
16.4.78
Was mich bis zum Absagen entmutigt, sind folgende Schwierigkeiten:
die Vorbereitung ist nur „Feuerwehrübung“, weil mangels endgültiger Verträge, Geld zum Probieren und Engagieren fehlt
die Ausführung ist auf der praktischen Seite durch das Fehlen guter Techniken, vor allem spec. Effects gefährdet
die Vertragssituation wird bis zum letzten Moment prekär sein – jetzt z.B. wieder UA [United Artists] durch den Rücktritt von Emet Goldschmidt in Frage gestellt; Berlin-Kredit immer noch nicht verabschiedet […], FFA [Filmförderungsanstalt] vertagt.
kein brauchbares Atelier in Berlin
Angst vor dem Inszenieren des Kleinbürgermilieus mangels eigener Erfahrung
Ein Film in deutscher Sprache in dieser Größenordnung nicht amortisierbar… (16_4_2_02)
Ab dem 6. Juni werden die Stationen der Finanzierungsbeihilfen nacheinander erfolgreich abgelaufen: Der Berlin-Kredit wird bewillgt, am 12. Juni kommt die Zusage des FFA-Projektförderungs-Darlehens in Höhe von 700.000 DM. Endlich können die Verträge gemacht werden: „Jetzt ist das Geld also beisammen. 5 Minuten vor 12!“ (16_4_2_02)
Dreh
14.06.78
Heute erste Probeaufnahmen. Gestern haben sich im Lauf des Tages David und Angela, Mario und Daniel hier versammelt, sowie aus Rom Mariella Oliveri mit ihrer Mutter – eine entzückende Roswitha! Dazu das Kostümteam aus Berlin, Maske u.a. Abends alle hier bei uns, alle verstehen sich sehr gut. Mario macht matzerathsche Scherze, Angela und David flirten, viel Schnaps und Wein wird getrunken. David hat ihr einen kaschubischen Spiegel mitgebracht und lässt sich von ihr anhimmeln. Die Beziehung stimmt. David läuft von einem seiner mutmaßlichen Väter zum anderen, schmust und schmiegt sich an Angela, bestaunt die dunkeläugige kleine Italienerin […]. Es ist fast unheimlich, wie gut alle zusammenpassen. Was für eine Anmaßung, Menschen so zusammen zu führen, sie ihren Rollen und Beziehungen auszuliefern. Aber wie schön auch, wenn jeder so ganz sich selbst einbringen kann. Alle sind so authentisch, dass wir näher am Dokumentarfilm als an der Literaturverfilmung sind. (16_4_2_02)
Große Sorgen bereiten dem Regisseur und seinem Team weiterhin die aufwendigen Spezialeffekte. Experte Georges Jaconelli wird dafür eigens aus Paris geholt. Er wird gemeinsam mit Nikos Perakis am Glaszersingen, den Bombeneinschlägen, Schießereien und anderen Pyrotechniken tüfteln, wobei auch zu ungewöhnlichen Mitteln gegriffen wird: „Zum Glaszersingen soll jetzt ein Tongenerator von den Opelwerken kommen, um das Glas tatsächlich akustisch zu ‘zersingen’.“ (Schlöndorff 2011, S. 262) Am 31. Juli 1978 beginnen in Zagreb die Dreharbeiten mit Bild 58: Maiwiese. In den CCC-Studios in Berlin fällt – nach weiteren Stationen in Zagreb, in der Normandie und im polnischen Gdansks – im November, nach 17 Drehwochen, die letzte Klappe. Am 3. Mai 1979 erlebt der Film seine Premiere im heimatlichen Wiesbaden und in Mainz.
Cast
David will konkrete Hinweise im Sinne Stanislawskis – ich hoffe, daß wir sie immer finden werden.
Nach Drehschluss trifft sich Günter Grass oft mit den Schauspielern, um mit ihnen ihre Rollen durchzusprechen. Er gibt Hinweise zu Reaktionen, Motivationen und Emotionen der Figuren, macht deutlich, warum sie wie handeln, was in den Köpfen der zu spielenden Figuren vorgeht.
„I konnt eh nix anfangen mit Erklärungen. I spiel halt, wos im Drehbuch steht, sagt er wienerisch.“ (Schlöndorff 2011, S. 287) – Fritz Hakl ist zum Zeitpunkt des Drehs seit über 20 Jahren Artist. Aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit war er ungeeignet für die Feldarbeit auf dem heimischen Bauernhof, sodass er in den Prater ging. David Bennent hingegen saugt jede Information auf, die er bekommen kann. Er ist mehr für Schlöndorff als nur ein Schauspieler. „Er ist ein Medium. Er hat selbst Probleme, die ähnlich sind wie die des Oskar Matzerath, deshalb wirkt er so authentisch. Er spielt nicht den Oskar Matzerath, sondern er ist selbst ein Oskar.“ (ebd., S. 288). Auch die zum Zeitpunkt des Drehs 25-jährige Katharina Thalbach wolle „um jeden Preis ‘spielen’“ und sage von sich, „dass sie nie genug kriegen kann.“ (ebd., S. 296)