Recherche
In Vorbereitung auf DER NEUNTE TAG befasst sich Volker Schlöndorff neben Jean Bernards Tagebuch konkret mit den historischen Begebenheiten, unter anderem dem zwischen Papst und NS-Regime beschlossenen Reichskonkordat von 1933. Diese Kollaboration der Kirche mit den Nationalsozialisten weitet sich für viele Priester als enormes moralisches Dilemma aus. Es geht nicht nur um den Mut und die Kraft, sich der NS-Ideologie zu widersetzen. Sondern auch um eine damit einhergehende Verweigerung gegenüber dem Vatikan. Im Laufe dieser Zeit entstand der sogenannte „Pfarrerblock“ im KZ Dachau, der größtenteils aus nicht kollaborierenden und „nicht-arischen“ Christen bestand. Im Laufe seiner Recherchen fokussiert sich Schlöndorffs Fragestellung auf den Sinneswandel und anschließende Auseinandersetzung mit dem eigenen Gewissen von Gläubigen. Wie ist der christliche Glaube vereinbar mit der NS-Ideologie? Wie kann eine derartige Zusammenarbeit gerechtfertigt werden? Die Figur des Judas stellt sich dabei als Angelpunkt heraus. Einerseits wird er als Verräter gehandelt, als Inbegriff der Illoyalität, andererseits als Jemand, der den Verrat in Kauf nimmt, um einem höheren Ziel zu dienen. Dies macht Judas teilweise zu einer positiv assoziierten Figur mit Identifikationspotenzial. Durch diese Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Zweck die Mittel heilige, wird die Judas-Frage wesentlicher Bestandteil des psychologischen Duells von Priester und NS-Offizier.
Cast
Für die Rolle des Abbé Henri Kremer sieht Schlöndorff Ulrich Matthes als perfekte Besetzung. Gemäß den Aufzeichnungen von Bernard handelt es sich bei ihm um einen Menschen, der kein Märtyrer ist und sich selbst auch nicht als einen solchen wahrnimmt. Vielmehr geht es um die glaubwürdige Auseinandersetzung mit den moralischen Dilemmata. Bevor die Dreharbeiten am 30.11.2003 beginnen, steht Matthes in Oliver Hirschbiegels DER UNTERGANG (D 2004) als Propagandaminister Joseph Goebbels vor der Kamera – und muss sich parallel auf beide Rollen vorbereiten. In DER NEUNTE TAG steht er zusätzlich vor der Herausforderung, so wenig wie möglich seine innere Befindlichkeit nach Außen auszuspielen. „Ich wollte nicht, dass diese Bedeutung im Dialog behandelt wird, sie sollte nur unterschwellig da sein. Man kann das nicht in Worte fassen, aber Schauspieler können es ausdrücken.“ (Schlöndorff 2011, S. 451)
Als wichtigster Gegenspieler von Kremer wird August Diehl als Gestapo-Offizier Gebhardt besetzt. Entgegen der häufigen Darstellung von ’simplen‘, ‚lauten‘ SS-Leuten, sollte dieser den personifizierten Verführer par excellence geben: Schön und idealistisch, hart und ehrgeizig versucht er, durch Intellekt zu bestechen und wird gerade so besonders gefährlich für Kremer.
Die Rolle der aufopferungsvollen Schwester des Priesters, Marie, wird mit Bibiana Beglau besetzt, mit der Volker Schlöndorff schon in DIE STILLE NACH DEM SCHUSS (D 2000) zusammenarbeitete. Den luxemburgischen Bischof, einen Mann mit unerschütterlichen Überzeugungen, der Kremer schlussendlich aber keinerlei Hilfestellung gibt, verkörpert „(e)in Mann wie eine Eiche, Hilmar Thate.“ (Schlöndorff 2011, S. 452)
Dreh
Aufgrund geringer zeitlicher und gerade auch finanzieller Mittel stehen nur wenige Drehtage zur Verfügung. Daher entscheidet sich Schlöndorff vorab zu Proben in Berlin mit Ulrich Matthes und August Diehl, um die Szenen des Zweikampfs zwischen Kremer und Gebhardt zu üben. Dies erweist sich für die spätere Drehzeit in Prag als eine gute Vorbereitung. Gerade die erschwerten Bedingungen wertet Schlöndorff als Vorteil, da sie zu radikalen künstlerischen Entscheidungen zwingen. Diese äußern sich in den vermehrten Großaufnahmen von Ulrich Matthes und August Diehl, in denen geringste Mimiken erkennbar werden und ein Spiel ohne Pathos ermöglichen. Die Kamera nimmt dabei die Rolle eines subjektiven Beobachters ein, „der die Kraft nicht mehr hat für große Überblicke, für Totalen […]“. (Schlöndorff 2011, S. 454)