Einleitung
Volker Schlöndorff ist einer der renommiertesten deutschen Nachkriegsregisseure. Geboren wurde er am 31. März 1939 in Wiesbaden, doch zu Hause ist er in der ganzen Welt. Mit 17 verließ er seine hessische Heimat, um im französischen Jesuiteninternat Saint François-Xavier in Vannes seine schulische Ausbildung fortzusetzen. Dort entdeckte er nicht nur seine Liebe zu Frankreich, sondern auch die zum Film. Entgegen dem Wunsch seines Vaters, der ihn lieber in seiner Nachfolge als Arzt gesehen hätte, entschied er sich für eine Laufbahn als Filmemacher.
Inzwischen hat Volker Schlöndorff in einer über fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere, die als Regieassistent bei Louis Malle, Jean-Pierre Melville und Alain Resnais begann, 35 Filme gedreht. Sein jüngstes Werk, DIPLOMATIE, startete im August 2014 in deutschen Kinos.
Dreharbeiten führten ihn rund um den Globus: Von Frankreich, Polen, Italien, dem ehemaligen Jugoslawien, Griechenland, den USA und Mexiko bis hin zur Weite der kasachischen Steppe. Aber auch immer wieder zurück in seine Heimat, Deutschland. Seinen hessischen Wurzeln setzte er mit dem PLÖTZLICHEN REICHTUM DER ARMEN LEUTE VON KOMBACH (1970/71) ein filmisches Denkmal. Schlöndorffs Œuvre vereint Brüche und Kontinuitäten: große, internationale Co-Produktionen mit Star-Ensemble, u.a. DIE BLECHTROMMEL (1978/79), DIE FÄLSCHUNG (1981), EINE LIEBE VON SWANN (1983/84), TOD EINES HANDLUNGSREISENDEN (1985), EIN AUFSTAND ALTER MÄNNER (1986/87), HOMO FABER (1990/91), aber auch „bescheidenere“ Produktionen, wie sein KOMBACH, MORD UND TOTSCHLAG (1966/67), BAAL (1969), STROHFEUER (1972), DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM (1975), DER FANGSCHUSS (1976), DIE STILLE NACH DEM SCHUSS (2000), DER NEUNTE TAG (2003/04), ULZHAN – DAS VERGESSENE LICHT (2006/07). Er dreht für die Kinoleinwand und fürs Fernsehen, inszeniert Opern und Theaterstücke. Fast immer greift er dabei auf literarische Vorlagen zurück und adaptiert diese für das jeweilige Medium, oft selbst als Drehbuchautor.
Im Zentrum seiner Erzählungen stehen Individuen und ihre Positionen im gesellschaftlichen Gefüge. Zu den großen Gewinnern zählen sie dabei nicht: An ihnen werden Missstände aufgezeigt, unter denen sie zu leiden haben, gegen die sie aufbegehren und ausbrechen wollen. Mal eher nach innen gerichtet (Willy Lohman im HANDLUNGSREISENDEN, Walter Faber in HOMO FABER), mal lautstark nach außen gewandt [Oskar Matzerath aus der BLECHTROMMEL, oder Agnieska, die Heldin von Danzig in STRAJK (2006)].
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Die Sammlung
Das Produktionsarchiv, das Volker Schlöndorff 1992 dem Deutschen Filmmuseum übergeben hat und seitdem laufend von ihm persönlich ergänzt wird, lässt diese Brüche und Kontinuitäten erkennen, sie sind ihm förmlich „eingeschrieben“: seine künstlerische Handschrift, im übertragenen und im wortwörtlichen Sinne, ist in beinahe jedem Objekt, zu jedem Schritt der Filmproduktion, nachzuweisen. Schlöndorff, der seit 1969 mit der Hallelujah Film GmbH und ab 1974 mit der Bioskop-Film GmbH (deren Unterlagen die Sammlung ergänzen) seine Filme selbst produziert, kümmert sich um den Erwerb von Filmrechten, stellt Kosten- und Finanzierungspläne auf, schreibt Drehbücher, „scribbled“ Storyboards und entwirft Werberatschläge für Kinobesitzer.
Die Sammlung Volker Schlöndorff wird, beginnend am 31. März 2014, sukzessive einer breiten Öffentlichkeit durch ein neues mediales Dispositiv, der virtuellen Ausstellung, zugänglich gemacht.
Virtuelle Ausstellung: das andere Dispositiv
Einem Museumsbesuch wohnt immer auch ein gewisser Zauber inne. Sorgfältig ausgewählte, kuratierte Objekte werden durch ihre exponierte Position vergegenwärtigt. Sichtbar. Fast greifbar. Ihnen wird eine auratische Strahlkraft zuteil, die beim Gang durch die Ausstellungsräume allgegenwärtig ist. Doch je öfter die kostbaren Originale einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden, desto mehr drohen sie, Schaden zu nehmen. Der Kurator steht vor einer besonderen Herausforderung: Seine Maxime ist es, die Objekte und ihre Strahlkraft über die Zeit hinweg zu konservieren. Gleichzeitig werden ihr Wert und seine Arbeit nur legitimiert, wenn diese Objekte auch ausgestellt werden. Als Exponate verschwinden die Originale dann förmlich hinter schützendem Vitrinenglas und Absperrungen, was eine allzu intensive Betrachtung oft verhindert. Inzwischen werden im musealen Raum verstärkt Reproduktionen ausgestellt, die das Original abbilden, es schützen und gleichzeitig darauf verweisen. Die logische Weiterführung der technischen Möglichkeiten und der Mittel der Repräsentation ist die virtuelle Ausstellung, die es Museen und anderen Einrichtungen erlaubt, ihre Bestände online zugänglich zu machen.
Das Dispositiv bei virtuellen Ausstellungen ist ein anderes, ein gänzlich neues. Digitalisierte Objekte werden auf Laptops, Tablets und Smartphones, zu jeder Zeit, an jedem Ort abrufbar. Archivalien finden so, in digitaler Form, eine große öffentliche Zugänglichkeit und Verbreitung. Per Mausklick oder Handbewegung können sie hochaufgelöst abgerufen, herangezoomt, intensiv studiert und geteilt werden – ohne dass das Original durch die Benutzung Schaden erleidet. Die Strahlkraft des Originals mag dabei verblassen. Dafür bietet der virtuelle Raum die Möglichkeit, Exponate verschiedenster Materialität wie Fotos, Dokumente und Film zu erleben und auf neue, interaktive Weise in Beziehung treten zu lassen.
Das Vorhaben ist nicht zuletzt eine Antwort auf die große Nachfrage nach den enthaltenen Unterlagen und Objekten. Die Sammlung Schlöndorff gehört zu den am meisten genutzten Teilbeständen der Archive des Filminstituts mit Anfragen von Wissenschaftlern, Ausstellungsmachern und Publizisten aus dem In- und Ausland. Eine vertiefte inhaltliche Erschließung, Aufarbeitung und Kontextualisierung dieser Bestände im Zuge ihrer Digitalisierung und Zugänglichmachung im Web kommt dieser großen Nachfrage entgegen.
Das Projekt „Die Sammlung Volker Schlöndorff als virtuelle Ausstellung“ soll nicht nur durch fortlaufend kuratorisch aufbereitete Exponate, sondern auch durch die Interaktion und im Dialog mit den Besuchern der Site ergänzt und weiterentwickelt werden. So ist es beispielsweise in einigen Fällen, trotz intensiver Recherche, nicht gelungen, alle abgebildeten Personen oder Fotografen zu ermitteln. In diesen Fällen bitten wir um Kontaktaufnahme.
Dank
Wir danken dem Förderkreis des Deutschen Filminstituts ganz besonders, ohne den der Start dieses innovativen, „lebenden“ Projekts, das einen „Work in Progress“ darstellt, nicht möglich gewesen wäre. Ein großes Dankeschön geht auch an die Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus, die uns mit Rat und Tat hilfreich zur Seite standen, insbesondere Eleonore Emsbach. Sie ließ uns an ihrem Fachwissen über Digitalisierung und digitale Bildbearbeitung teilhaben und hatte stets ein offenes Ohr für die „Tücken der Technik“.
Ebenso danken wir den Freunden und Kollegen der Studiocanal GmbH und Weltkino Filmverleih GmbH, Christiane Habich und Marek Bringezu, für die großzügige Unterstützung und die Erlaubnis, ihr exklusives Videomaterial präsentieren und teilen zu können.
Isabelle Bastian und Hans-Peter Reichmann im März 2014