Mord und Totschlag
Norbert Grob über Volker Schlöndorffs Film im Kontext des “Films der sechziger Jahre”. Aus: Wolfgang Jacobsen / Anton Kaes / Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des Deutschen Films. Stuttgart 2004. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Nach seinem Kinodebüt DER JUNGE TÖRLESS holte [Volker Schlöndorff] sich den Kriminalreporter Arne Boyer und entwickelte mit ihm die Geschichte für MORD UND TOTSCHLAG (1967), von der er, wie er sagte, in der Abendzeitung gelesen hatte[i].
Die story ist pure Kolportage. Die Darstellung aber bricht unentwegt die Emotion dafür, sie untergräbt das Einverständnis, sie sucht das kontradiktorische, irritierende Moment. Eine junge Frau bringt im Streit ihren Freund um, von dem sie sich gerade trennen will. Gegen den Schuß ins Herz bringt sie ihm AlkaSeltzer, mit den Worten: “Es wird alles wieder gut!” Als sie dann bemerkt, daß er tot ist, trinkt sie das Schmerzmittel selber – und schläft darüber ein. Danach geht sie auf die Straße, um jemanden zu suchen, der ihr hilft, die Leiche zu beseitigen. Das Spiel mit der Leiche ist so provokant wie despektierlich. Übergangen wird sie, weggeschoben, eingepackt, weggefahren, eingebuddelt. Mal dient sie als Ornament nebenbei, mal als Kopfkissen beim Schlaf. Als happening zeigt Schlöndorff dann das Begräbnis: das Leben ist Qual, und der Tod ein Karneval.
Auf extreme Weise inszeniert Schlöndorff Ausschnitte, Details, die nie auf ein Ganzes zielen, sondern konkrete Situationen in einer konkreten Umgebung präsentieren. Das Bild einer Generation erhält Kontur – jenseits von Ruhe und Rebellion, die Vision einer jugendlichen Spontaneität, einer geradezu existentialistischen Gleichmütigkeit. Andererseits ist der Film auch eine moderne Schubert-Variation: “Dort, wo Du nicht bist, ist das Glück.”
Volker Schlöndorff, schrieb Karl Korn 1967 in der FAZ, “bringt die Inkohärenz eines Zeitalters nicht auf Nenner und Thesen, wohl aber auf einen Stil. Er heißt nach bereits eingeschliffener Konvention Pop.”[ii]
[i] Volker Schlöndorff: Tribüne des Jungen Deutschen Films. I. Volker Schlöndorff. In: Filmkritik 6/1966. S. 309.
Norbert Grob
(*1949 in Frankfurt am Main)
Film- und Medienwissenschaftler, Autor, Filmkritiker und Essayist.
Professor für Filmwissenschaft und Leiter der Mediendramaturgie an der Johannes Gutenberg-Universtität Mainz